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„Es geht darum, das richtige Wort
zu finden, nicht
seinen Cousin zweiten Grades.“

Mark Twain

Rubinroter Herzschmerz

Rubinroter Herzschmerz

Sie schreiben wie die Feuerwehr und werden trotzdem vom Feuilleton ignoriert. Wir machen eine Ausnahme: Ein Bericht von der Jahrestagung der deutschen Liebesromanautorinnen.

 

Das Leben als Autorin von Frauenromanen ist nicht immer leicht, sogar wenn man Kerstin Gier heißt und die meistgelesene deutsche Schriftstellerin ist. Ob Kindergeschichten, Chick-Lit, Fantasy, Mütterromane, fast alle ihr Bücher sind Bestseller geworden, ihr größter Erfolg, die „Edelstein“-Triologie verkaufte sich über vier Millionen Mal. „Rubinrot“ wurde in 24 Sprachen übersetzt, begeisterte Leser schreiben im Internet die Handlung als so genannte Fan-Fiction weiter. Das Buch wurde in der „New York Times“ gelobt, war in der „Spiegel“-Bestseller-Liste und ist derzeit aufwendig verfilmt im Kino zu sehen. Und was schreibt die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“? „Lesen im Wachkoma, Schreiben im Facebook-Stil. An dramaturgischer oder erzählerischer Raffinesse kann der Erfolg nicht liegen.“

Die Verfasserinnen von Frauenromanen haben im Literaturbetrieb keinen einfachen Stand. Vom Feuilleton werden sie bestenfalls ignoriert, und auch im Privatleben kann man damit nicht immer punkten. Eine Autorin berichtet, dass ihr von Verwandten dazu gratuliert wurde, für so etwas überhaupt einen Verlag gefunden zu haben, eine andere hat ihren Roman ihrem Ehemann gewidmet, der völlig überrascht nachfragte, ob man das bei solchen Romanen überhaupt mache. Und sogar die Bestseller-Autorin Ildiko von Kürthy mutmaßte in einem Interview, dass ihr Sohn sich später für die Literatur seiner Mutter „zu Tode schämen“ und aus Protest zu Schopenhauer greifen werde. Frauenromane sind oft pink oder rot, auf dem Cover sind meist Blumen, Stöckelschuhe und Frauen ohne Kopf zu sehen und tragen plüschige Titel wie „Die Niemandsbraut“, „Oleanderregen“, „Ein Sommer wie dieser“, „Welpenalarm“ und „Das Herz der Feuerinsel“. Und: sie verkaufen sich rasant gut. 2012 stieg Anteil des Belletristik-Umsatzes um 0,8 Prozent – dank des SM-Frauenpornos „Shades of Grey“, dessen drei Bände Platz 1, 3 und 4 der Jahrescharts anführten.

Das weiß man auch bei der Jahrestagung der Vereinigung der deutschsprachigen Liebesromanautorinnen (Delia) in Iserlohn. Die – hauptsächlich weiblichen – Autorinnen kommen hierher, um den besten Liebesroman des vergangenen Jahres auszuzeichnen und den zehnten Geburtstag von Delia zu feiern,  „eine Erfolgsgeschichte“, wie die Präsidentin und Autorin Rebecca Michéle erzählt. Als der Verband 2003 ins Leben gerufen wurde, ging es den zwölf Gründerinnen darum, sich auszutauschen, ein Netzwerk aufzubauen, den deutschsprachigen Liebesroman zu fördern. Die Konkurrenz aus den USA hatte schon 1980 die „American Romance Writers“ gegründet, und noch heute machen englische Übersetzungen einen großen Anteil der Liebesromane in den deutschsprachigen Buchhandlungen aus. Romane wie „Bridget Jones – Schokolade zum Frühstück“ von Helen Fielding oder „Working Mum – der ganz normale Wahnsinn“ von Allison Pearson haben es geschafft, das Lebensgefühl von Single-Frauen oder völlig überforderten Müttern mit so viel Sprachwitz und Wärme auf den Punkt zu bringen, dass sich die Leserinnen rund um den Globus mit ihnen identifizieren konnten.

Die Marktmacht der Anglo-Amerikanerinnen ist so groß, dass sogar das Covermodel zahlreicher Liebesromane, eine Männerkarikatur mit blonden Strähnchen und Silberblick namens Fabio Lanzoni, ein richtiger Star mit Kalendern, Selbsthilfebüchern und Fernsehshow geworden ist. Von so einem Marketing sind die deutschsprachigen Autorinnen weit entfernt. Immerhin: Heute hat der Verband ca. 120 Mitglieder aus Deutschland, Österreich und der Schweiz, nach eigenen Angaben haben sie eine Gesamtauflage von 20 Millionen verkauften Büchern. Eintreten kann jede Autorin, die einen Liebesroman bei einem Publikumsverlag veröffentlich hat, wobei der Begriff großzügig gefasst ist – vom Heftchen wie „Der Bergdoktor“ bis zum Hardcover aus angesehenen Belletristik-Verlagen ist alles zugelassen. Das Genre hat sich selbst stark nach Zielgruppen diversifiziert: Es gibt Chick Lit für junge Frauen, Mom Lit für Mütter, Lad Lit für Männer, Love and Landscape für Leserinnen mit Fernweh, Romantic Thrill, den Mops-Krimi, den historischen Roman, die Regio-Romanze und, in Amerika sehr beliebt, Military Romance, heißt Sex mit den Navy Seals. Die Autorinnen sind so unterschiedlich wie ihre Bücher: manche schreiben hauptberuflich Liebesromane, andere arbeiten artverwandt als Journalistin oder Drehbuchautorin, andere hingegen sind Polizistin, Bibliothekarin, Programmiererin oder Hausfrau. Verbandspräsidentin RebeccaMichéle, u.a. Autorin von historischen Liebesromanen („Das Erbe der Lady Marian“), ist eigentlich Arzthelferin und Turniertänzerin, hat früher bei einer Krankenkasse gearbeitet und schreibt jetzt hauptberuflich Liebes- und Kriminalromane, die meist in England angesiedelt sind.

Um innerhalb des Genres zu wechseln, brauchen die Autorinnen ihre Pseudonyme – sie wollen ihre Leserin nicht enttäuschen, wenn sie statt der bisherigen Mittelalter-Lovestory plötzlich Science Fiction produzieren. Denn die Leserin, die Zielgruppe – um die geht es hier beim Schreiben. Kein Wunder also, dass auf den Namensschildern der Autorinnen oft zwei, manchmal auch drei Namen stehen. Ungefähr zehn Prozent der Mitglieder im Verband sind Männer, einige von ihnen schreiben auch unter einem weiblichen Pseudonym. „Nicht etwa, weil sie sich schämen“, erklärt Rebecca Michéle, „oft werden sie von den Verlagen angehalten, sich als Frauen auszugeben, weil sich die Leserinnen von weiblichen Autoren mehr Verständnis erwarten. Einer unserer Autoren ernährt seit dreißig Jahren seine Familie von Heftchen-Romanen, der hat kein Problem, dazu zu stehen.“

An diesem Wochenende geht bei aller Liebe vor allem um Pragmatismus: Workshops zum Thema Urheberrecht stehen auf dem Programm, Seminare zum Online-Marketing, ein neuer Vorstand wird gewählt, ganz normale Berufsverbandsarbeit. Auf einer öffentlichen Diskussionsrunde in der Iserlohner Stadtbibliothek reden drei Autorinnen über den Aufbau von Geschichten, wie man einen Agenten findet und von dem Leben als Gefühlsexpertin. Der Traumberuf bedeutet vor allem harte Arbeit, Disziplin und eine hohe Leidensbereitschaft. „Auch Rosamunde Pilcher musste 65 Jahre alt werden, bis sie ihren Durchbruch hatte“, erklärt eine Autorin. Eine andere klagt über kaputte Schultern, einen kaputten Nacken, eine kaputte Wirbelsäule: Der Preis des vielen Schreibens. Denn tatsächlich ist der Output der Liebesroman-Autorinnen immens hoch, manche schreibt pro Jahr drei Bücher: zwei Krimis à 300 Seiten und dazu noch einen Historienwälzer mit ca. 600 Seiten. Eine andere wiederum ist vertraglich von ihrem Verlag dazu verpflichtet, zwei Bücher pro Jahr abzuliefern – allein der Gedanke an ein solches Pensum könnte manch empfindsamen Bachmann-Preisträger in die Schreibblockade stürzen.

Und das Star-System, das sich durch alle Kunstspalten zieht, macht auch vor den Liebesroman-Autorinnen nicht halt: Einige wenige wie Kerstin Gier und Iny Klocke und Ehemann Elmar Wohlrath, die unter dem Pseudonym Iny Lorentz Blockbuster wie „Die Wanderhure“ schreiben, verkaufen millionenfach und verdienen eine Menge Geld. Doch die meisten Autorinnen setzen sich mit Dauerproduktion; die Unterhaltungs-Autorinnen sehen sich weniger als elitäre Künstlerinnen sondern als fantasiebegabte Handwerkerinnen: Wenn ein Verlag statt einem Provence-Roman lieber eine Handlung in Cornwall möchte, wird die Liebesgeschichte eben nach England verlegt. Recherchieren, Charaktere und Dramaturgie entwickeln, schreiben und dabei immer unterhaltsam sein, immer auf die ganz großen Gefühle abzielen – so leicht wie sich ein Frauenroman liest, ist er eben nicht geschrieben. „Der Erfolg von ‚Shades of Grey’“, sagt ein Delia -Mitglied, „war ganz bestimmt kein Zufall einer unbedarften Hausfrau, die mal einen S/M-Roman ins Netz gestellt hat. Die Autorin hat vorher jahrelang als Redakteurin beim BBC gearbeitet, die war ganz bestimmt nicht so naiv, wie sie im Nachhinein tut.“

Ohne das Internet wäre auch die Karriere von Ricarda Ohligschläger nicht möglich geworden. Die Bloggerin ist vermutlich der größte Fan von Liebesromanen in Deutschland. 2009 schrieb die 36-Jährige aus dem nordrhein-westfälischen Dormagen ihre erste Liebesroman-Kritik, „Zum Wegwerfen“, sagt sie heute. Drei Jahre später hat sich die Einzelhandelskauffrau stark professionalisiert: Sie bespricht sechs bis acht Bücher im Monat, ihr Blog herzgedanke.de gehört mit ca. 10 000 Lesern zu den erfolgreichsten der Szene. Ricarda Ohligschläger hat mit ihrer Romanzen-Begeisterung eine Marktlücke gefunden: Da so genannte Frauen-Bücher vom Feuilleton – wenn überhaupt – nur mit Verachtung besprochen werden und sich sogar Frauenzeitschriften kaum zuständig fühlen, bekommen enthusiastische Leserinnen wie sie, die die Bücher analysieren und bewerten, einen extrem hohen Stellenwert. Verlage bemustern die Bloggerin nicht nur kostenlos, sondern auch sehr früh mit Freiexemplaren – „neulich habe ich ein Buch sogar vor der Autorin bekommen“, erzählt sie. Und weil Bücher, die von Ricarda Ohligschläger besprochen werden, im Verkauf stark anziehen, sind auch die Autorinnen sofort bereit, Interviews und bei ihr zu Hause Wohnzimmerlesungen zu geben. Ricarda Ohligschlägers Literaturgeschmack deckt sich so sehr mit dem Mainstream, dass sie sich mittlerweile in einer ganz neuen Rolle wiederfindet: die der Beraterin. Manche Autorinnen geben ihr das Manuskript mitten im Arbeitsprozess zum Lesen und bitten sie um Rat. „Ich tue das eigentlich nicht sehr gerne“, sagt sie, „weil ich der Meinung bin, dass die Figuren der Autorin gehören, dass die sich von alleine entwickeln sollen.“ Trotzdem findet man in manchen Büchern Danksagungen an die Bloggerin, in einem anderen kommen sie und ihr Mann sogar als literarische Figuren vor. So ist Ricarda Ohligschläger, die im normalen Leben einen 400-Euro-Minijob in einem Vertrieb nachgeht, eine feste Größe im Delia-Netzwerk.

Was könnte die Leserin also wollen, was wird der Trend? „Die Heldinnen in den Büchern sind selbstbewusster geworden“, sagt Ricarda Ohligschläger. „Die Suche nach Mr. Right allein trägt nicht mehr“, meint die Lektorin Christine Steffen-Reimann, die beim Droemer-Knaur-Verlag die Belletristik-Abteilung im Taschenbuch leitet und schon seit Jahren ihre Autorinnen zu den Delia-Veranstaltungen begleitet. „Es muss noch etwas hinzukommen, ein romantisches Setting, ein historischer Hintergrund, eine spannende Familiensaga, eine eigene Sprache.  Und dabei muss die Leserin immer die Möglichkeit haben, sich mit den Schwierigkeiten der Heldin identifizieren zu können. Ein reiner Liebesroman, die Frau, die in der Werbeagentur arbeitet, einen schwulen Freund und zickige Kolleginnen hat und jetzt den richtigen Mann sucht, das reicht nicht mehr.“

Den Preis für den besten Liebesroman bekommt an diesem Wochenende in Iserlohn übrigens die 33-jährige Jennifer Benkau für ihren düsteren Science-Fiction-Liebesroman „Dark Canopy“, was grob übersetzt „Dunkles Firmament“ bedeutet. Die Jury hat eine ungewöhnliche Wahl getroffen, denn besonders zartfühlend geht es in dem Buch nicht zu. In dem Roman werden die Menschen von künstlich erschaffenen Soldaten, „Percents“ genannt, beherrscht. Eine Rebellin namens Joy wird gefangen genommen und verliebt sich daraufhin in einen Percent, eine ziemlich brutale Geschichte. Die dreifache Mutter Benkau hat insgesamt sieben Bücher veröffentlicht, für „Dark Canopy“ gibt es schon einen Nachfolger. Als sie die Delia-Statue und das Preisgeld von 1500 Euro (ca. 1800 CHF) überreicht bekommt, wirkt sie ehrlich überrascht. Und während Pressevertreter, Lektorin und Delia-Mitglieder auf die Gewinnerin einstürmen, steht ihr Ehemann am Rande und betrachtet den Rummel um seine Frau. Doch die Frage, wie ihm denn ihr Buch gefallen habe, bringt ihn in Verlegenheit und er murmelt etwas davon, dass man das nicht falsch verstehen möge, aber er habe wenig Zeit, sein Job in einer Chemiefirma, die drei Kindern, die Haustieren, kurz, er habe das Buch noch nicht zu Ende gelesen habe – seine Frau schreibe doch so viel.

– Erschienen in der NZZ am Sonntag am 05. Mai und in der WELT vom 10. Mai 2013

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